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Artikel erschienen am 28.05.2003
 
 
OUTSOURCING
 
Sie sind so frei
 
Ausgliedern, Löhne senken, den Arbeitsdruck erhöhen: Einige Verlage nutzen die Marktlage – und gefährden den kritischen Journalismus
 
Von Dirk Engelhardt und Götz Hamann
 
Die Anzeige war eine kleine Sensation. Und für viele auch eine Provokation. "Deutsche Profi-Journalisten in Südostasien bearbeiten und formulieren Ihre Rohtexte. Kompetent – individuell – zeilengenau. Und konkurrenzlos billig!" So bot das European Asian Business Network kürzlich seine Dienste an.
 
Konkurrenzlos billig, das stimmt. Welcher Texter aus Berlin oder München könnte Honorare unterbieten, zu denen sein Konkurrent aus Thailand arbeitet? Eine Zeitungszeile unter Palmen kostet 30 Cent, eine Arbeitsstunde 15 Euro.
 
Das Angebot, so skurril es erscheinen mag, passt perfekt in die deutsche Medienkrise, die nun schon ins dritte Jahr geht. Verlage und PR-Agenturen schreiben zum Teil horrende Verluste, was einen bisher nicht gekannten Kostendruck erzeugt. So lautet denn die alles beherrschende Frage: Geht es nicht billiger? Der Journalismus. Die Öffentlichkeitsarbeit. Einfach alles.
 
Mehrere zehntausend fest angestellte Mitarbeiter wurden entlassen – und durch Freiberufler oder Medienbüros ersetzt. Deren Tagessätze sind aufgrund der Arbeitsmarktlage deutlich niedriger als noch vor ein paar Jahren. Mit der üblichen Praxis, freie Mitarbeiter zu beschäftigen, hat das wenig zu tun. "Hier verändern sich die Arbeitsbedingungen eines ganzen Berufsstandes, was im Moment vor allem bedeutet: Sie werden schlechter", sagt der renommierte Dortmunder Medienforscher Horst Röper. "Gleichzeitig geben sich Unternehmen eine neue Gestalt." Es geht um einen tiefgehenden Strukturwandel.
 
Erste Anfänge sind in den Verlagen seit den neunziger Jahren zu beobachten. Freie Journalisten, Texter und Medienbüros begannen, komplette Fachzeitschriften zu produzieren. Dann folgten Comicmagazine wie Mickey Mouse und die Jugendzeitschrift Bravo Sport. Und Tageszeitungen mit wenigen tausend Abonnenten bestellten Serviceseiten beim Verband Deutscher Lokalzeitungen.
 
Jetzt wirkt die Krise offensichtlich wie ein Beschleuniger – selbst in den Medienhäusern mit Milliardenumsätzen: Der Hamburger Bauer Verlag hat die gesamte Redaktion der Wirtschaftszeitschrift Geldidee (Auflage: 161000) entlassen und den Auftrag einem Dienstleister übergeben. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung aus Essen (Auflage: 1,05 Millionen) lässt ihre Auto-, Reise- und Ratgeberseiten von einer eigens vom Verlag gegründeten Gesellschaft zuliefern. Noch härter geht es bei der Rhein-Zeitung (236000) zu, die mit das größte Verbreitungsgebiet aller Regionalzeitungen abdeckt. Sie plant, ihre Lokalredaktion am Stammsitz in Koblenz auszulagern. Und seit einiger Zeit liefert die Nachrichtenagentur ddp dem Mecklenburger Nordkurier (111000) nicht nur einzelne Meldungen, sondern fertige Seiten über die Brandenburger Landespolitik.
 
Wie viel Wut und Schmerz so eine Veränderung mit sich bringt, bekam selbst Wolfgang Merkert vom European Asian Business Network zu spüren. Obwohl er in Thailand sitzt. Dafür, dass er Fachbeiträge, Geschäftsberichte, Pressemitteilungen und Reden quasi über Nacht bearbeitet, wurde der Profi-Texter vom anderen Ende der Welt mit Schmäh-Post überhäuft. Dass man mit Österreichern und Schweizern auf dem deutschen Medienmarkt konkurriert, daran hatte man sich hierzulande gewöhnt. Aber nun auch noch Konkurrenz aus Fernost! Wobei die meisten Gewinner der momentanen Krise nicht am Strand sitzen, sondern nebenan. Zum Beispiel in der Kölner Südstadt.
 
Dort hat Ralf-Dieter Brunowsky die Brunomedia gegründet und einen für ihn lukrativen Vertrag unterschrieben. Seit Mitte Mai produziert er die Wirtschaftszeitschrift Geldidee für den Heinrich Bauer Verlag. Der Verleger kam auf Brunowsky, weil dieser zehn Jahre lang das größte deutsche Wirtschaftsmagazin Capital geleitet hat. Bis zum Jahr 2001. Dann wurde er entlassen, doch anstatt wie andere Exchefredakteure sein Berufsleben als Medienberater zu verbringen, suchte Brunowsky eine große, neue Aufgabe.
 
Heute erzählt er mit leuchtenden Augen von seinem Start als Unternehmer. "Inhaber" sei er und spricht das Wort fast ehrfürchtig aus. "Ich will einen Verlag aufbauen", und Aufträge wie der von Bauer brächten den nötigen Umsatz, um irgendwann "eine eigene Zeitschrift" zu starten.
 
Nur Festangestellte haben in Brunowskys Träumen wenig Platz: "Die Freien sind viel motivierter, und Sie können jetzt sagen, die müssen ja auch. Dann antworte ich Ihnen: Ja, das ist so." Er glaubt fest: "Am Ende schafft man durch diese Flexibilität mehr Arbeit." Er stellt die Fragen und gibt die Antworten gleich selbst, so lange hat er darüber geschrieben. Jetzt will er beweisen, dass es stimmt: Unternehmertum ist für ihn auch eine wirtschaftspolitische Vision.
 
Eine Vision, von der einige Dutzend arbeitslose Journalisten leben können. Wenn auch auf einem niedrigeren Niveau als zuvor. "Freie Mitarbeiter können bei uns in einem halben Monat an die 2000 Euro verdienen", sagt Brunowsky. Und fügt hinzu: "Die Zeiten werden auch wieder besser werden, und dann wird sich zeigen, wie gut wir unsere Leute behandelt haben und ob sie uns die Stange halten."
 
Was der Neuverleger macht, ist es bedrohlich? Für jeden Festangstellten sicherlich. Ist es aber gefährlich für die Medienlandschaft insgesamt? "Das muss man differenziert betrachten", sagt selbst Medienkritiker Horst Röper.
 
Die Geldidee hat laut ihrem Verlagsleiter Manfred Berning den Anspruch, "kurz und knapp über das aktuelle Wirtschaftsgeschehen zu berichten und den Lesern bei der Geldanlage zu helfen". Dabei könnte es passieren, dass sie mit großen Konzernen aneinander gerät. Über Bilanzen, über das Verhalten des Vorstands oder des Aufsichtsrats. So ergeht es jedenfalls den Wettbewerbern BörseOnline auf der einen und der Wirtschaftswoche auf der anderen Seite. Aber Berning wiegelt ab: "So ein Konflikt ist mir zu weit hergeholt." Er erinnere sich nicht, dass ein Artikel harte juristische Auseinandersetzung nach sich gezogen hätte. Die Geldidee hat es also immer verstanden, nicht anzuecken.
 
Bleibt der Interessenkonflikt von Ralf-Dieter Brunowsky. Er produziert auch die Unternehmenszeitschrift des Finanzdienstleisters AWD, der Fonds, Lebensversicherungen und sonstige Anlageformen an seine Kunden vertreibt. Diese Arbeiten will Brunowsky demnächst in eine andere Gesellschaft ausgliedern. Bedrohlich wirkt das alles nicht. Höchstens undurchsichtig.
 
Wenn also unterhaltende Zeitschriften wie der Frauentitel Freundin oder das Männermagazin Maxim von Externen erstellt würden und der Verlag nur noch den Vertrieb organisierte, wäre das ein Bruch mit einer gängigen Praxis. Aber mehr auch nicht.
 
Anders liegt der Fall, wenn Zeitschriften und Zeitungen zur vierten Gewalt gehören, wie sie in den Landesmediengesetzen definiert ist: "Die Presse ist frei. Sie dient der demokratischen Grundordnung." Und sie "erfüllt eine öffentliche Aufgabe, wenn sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt." Hier kann Outsourcing "eine ernsthafte Gefahr bedeuten", sagt Medienforscher Horst Röper.
 
So wie in Koblenz, wo sich die düstere Seite der Auslagerungen zeigt. Dort bricht Verleger Walterpeter Twer mit der stillschweigenden Übereinkunft, wie Zeitungen organisiert sein müssen, um kritisch berichten zu können. Dazu gehört, dass zentrale Themen von der Stammredaktion bearbeitet werden. Auch wenn es natürlich am einzelnen Redakteur liegt, wie es geschieht – er soll die größten Konflikte austragen und die Meinungshoheit haben.
 
Twer glaubt nun, sich dieses Modell nicht mehr leisten zu können. "Anpassen oder eingehen", so beschreibt er seine Situation und die aller deutschen Verleger in der Medienkrise. Twer ist Anteilseigner und Geschäftsführer des Mittelrhein Verlags, der die Rhein-Zeitung herausgibt. Er sagt: "Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren 17 Millionen Euro Umsatz eingebüßt, mit Anzeigen verdienen wir inzwischen weniger als im Vertrieb, und gleichzeitig müssen wir einer Sekretärin oder einem Redakteur doppelt so viel zahlen wie vergleichbaren Angestellten in der Region." Deshalb hat er den Tarifvertrag gekündigt. Überdies sei für eine langsame Absenkung des Gehaltsniveaus über natürliche Fluktuation in der Krise "keine Zeit mehr", sagt er.
 
Mag sein. Andererseits experimentiert Twer seit fünf Jahren an dem, was er seine "Systemveränderung" nennt. Er will die Lokalredaktionen schließen und seine Seiten durch externe Dienstleister füllen lassen, die er selbst gründet. In Bad Ems und Neuwied hat er es ausprobiert, nun soll die Redaktion in Koblenz folgen. "Drei oder vier erfahrene Redakteure, der Rest junge Leute." Und alles ein Drittel billiger als bisher. Dafür entlässt er, gemeinsam mit weiteren Einsparungen im Mantelteil, dem Marketing und der Vorstufe, 80 Mitarbeiter.
 
Gefahr für Lokalredaktionen
 
Helmut Heinen, der Präsident des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger (BDZV), hält das für eine Gefahr: "Im Lokalen, in der Politik und in der Wirtschaft darf es keine Auslagerungen geben. Dort geht es um den Kern dessen, was eine Zeitung ausmacht." Der Kern ist eine "unabhängige und kritische Berichterstattung", was im Lokalen durch die Beziehungen aller mit allen schwer genug ist.
 
Was würde wohl passieren, wenn ein Medienbüro – oder in kleinen Gemeinden ein Ein-Mann-Unternehmen – die Lokalgrößen kritisiert, die eng mit dem Chefredakteur oder dem Verleger bekannt sind? Das ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern im Fall der Firma Flowtex in Ettlingen genau so geschehen. Ein fest angestellter Lokaljournalist hatte jahrelang kritisch über den Milliardenbetrüger Manfred Schmider geschrieben, als der noch als Wunderknabe der baden-württembergischen Wirtschaft galt. Am Ende hielten sogar Teile der eigenen Redaktion den Rechercheur für einen Narren, sein Chefredakteur war mit Schmider im Rotary Club. Man kann sich durchaus die Frage stellen, wie lange sich dieser Reporter hätte halten können, wenn er ein freier Journalist gewesen wäre.
 
Twer sagt dazu, man müsse in der Praxis feststellen, ob sein Modell Probleme bringe. Mangelnde Unabhängigkeit? "Also immer wenn ein Politiker oder Unternehmer bei mir anruft und sich beschwert, sage ich: Ich besorge nur das Geld. Schreiben tun andere." Das werde er auch mit den neuen Dienstleistern so halten, schließlich seien sie ja in seinem Besitz.
 
Das kann man als Bekenntnis zu redaktioneller Unabhängigkeit verstehen. Aber die Praxis zeigt gerade in der jüngsten Zeit: Wenn ein Journalist nicht zur Zentralredaktion gehört, fühlen sich Verleger tendenziell weniger für ihn verantwortlich. Denn "Medienunternehmen gehen davon ab, die Prozessrisiken für freie Mitarbeiter und Dienstleister zu übernehmen. Das mag auch daran liegen, dass die Streitwerte gestiegen sind", sagt der auf Medienrecht spezialisierte Anwalt Gernot Lehr. Lehr und andere Rechtsanwälte berichten, dass sie dieses Verhalten gerade in den vergangenen Monaten mehrfach erlebt haben.
 
Für seine ausgegliederten Redaktionen verneint Twer eine rechtliche und publizistische Schwächung vehement. Und er fügt hinzu, dass "die Leser in Neuwied und Bad Ems nicht negativ reagiert haben", seit die Lokalseiten anders produziert würden. Sie, die Leser, seien doch der Maßstab.
 
Aber was hätten sie machen sollen? Die Rhein-Zeitung ist die einzige Zeitung am Ort. Ein Monopolist. Es gibt nur eine Wahl, die eigentlich keine ist: Lesen, was kommt. Oder gar nicht lesen.
 
(c) DIE ZEIT 28.05.2003 Nr.23