Sie sind so frei
Ausgliedern,
Löhne senken, den Arbeitsdruck erhöhen: Einige Verlage nutzen die Marktlage –
und gefährden den kritischen Journalismus
Von Dirk
Engelhardt und Götz Hamann
Die Anzeige
war eine kleine Sensation. Und für viele
auch eine Provokation. „Deutsche Profi-Journalisten in Südostasien bearbeiten
und formulieren Ihre Rohtexte. Kompetent – individuell – zeilengenau. Und
konkurrenzlos billig!“ So bot das European Asian Business Network kürzlich seine
Dienste an.
Konkurrenzlos
billig, das stimmt. Welcher Texter aus Berlin oder München könnte Honorare
unterbieten, zu denen sein Konkurrent aus Thailand arbeitet? Eine Zeitungszeile
unter Palmen kostet 30 Cent, eine Arbeitsstunde 15 Euro.
Das Angebot,
so skurril es erscheinen mag, passt perfekt in die deutsche Medienkrise, die nun
schon ins dritte Jahr geht. Verlage und PR-Agenturen schreiben zum Teil horrende
Verluste, was einen bisher nicht gekannten Kostendruck erzeugt. So lautet denn
die alles beherrschende Frage: Geht es nicht billiger? Der Journalismus. Die
Öffentlichkeitsarbeit. Einfach alles.
Mehrere
zehntausend fest angestellte Mitarbeiter wurden entlassen – und durch
Freiberufler oder Medienbüros ersetzt. Deren Tagessätze sind aufgrund der
Arbeitsmarktlage deutlich niedriger als noch vor ein paar Jahren. Mit der
üblichen Praxis, freie Mitarbeiter zu beschäftigen, hat das wenig zu tun. „Hier
verändern sich die Arbeitsbedingungen eines ganzen Berufsstandes, was im Moment
vor allem bedeutet: Sie werden schlechter“, sagt der renommierte Dortmunder
Medienforscher Horst Röper. „Gleichzeitig geben sich Unternehmen eine neue
Gestalt.“ Es geht um einen tiefgehenden Strukturwandel.
Erste Anfänge
sind in den Verlagen seit den neunziger Jahren zu beobachten. Freie
Journalisten, Texter und Medienbüros begannen, komplette Fachzeitschriften zu
produzieren. Dann folgten Comicmagazine wie Mickey Mouse und die
Jugendzeitschrift Bravo Sport. Und Tageszeitungen mit wenigen tausend Abonnenten
bestellten Serviceseiten beim Verband Deutscher Lokalzeitungen.
Jetzt wirkt
die Krise offensichtlich wie ein Beschleuniger – selbst in den Medienhäusern mit
Milliardenumsätzen: Der Hamburger Bauer Verlag hat die gesamte Redaktion der
Wirtschaftszeitschrift Geldidee (Auflage: 161000) entlassen und den Auftrag
einem Dienstleister übergeben. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung aus Essen
(Auflage: 1,05 Millionen) lässt ihre Auto-, Reise- und Ratgeberseiten von einer
eigens vom Verlag gegründeten Gesellschaft zuliefern. Noch härter geht es bei
der Rhein-Zeitung (236000) zu, die mit das größte Verbreitungsgebiet aller
Regionalzeitungen abdeckt. Sie plant, ihre Lokalredaktion am Stammsitz in
Koblenz auszulagern. Und seit einiger Zeit liefert die Nachrichtenagentur ddp
dem Mecklenburger Nordkurier (111000) nicht nur einzelne Meldungen, sondern
fertige Seiten über die Brandenburger Landespolitik.
Wie viel Wut
und Schmerz so eine Veränderung mit sich bringt, bekam selbst Wolfgang Merkert
vom European Asian Business Network zu spüren. Obwohl er in Thailand sitzt.
Dafür, dass er Fachbeiträge, Geschäftsberichte, Pressemitteilungen und Reden
quasi über Nacht bearbeitet, wurde der Profi-Texter vom anderen Ende der Welt
mit Schmäh-Post überhäuft. Dass man mit Österreichern und Schweizern auf dem
deutschen Medienmarkt konkurriert, daran hatte man sich hierzulande gewöhnt.
Aber nun auch noch Konkurrenz aus Fernost! Wobei die meisten Gewinner der
momentanen Krise nicht am Strand sitzen, sondern nebenan. Zum Beispiel in der
Kölner Südstadt.
Dort hat
Ralf-Dieter Brunowsky die Brunomedia gegründet und einen für ihn lukrativen
Vertrag unterschrieben. Seit Mitte Mai produziert er die Wirtschaftszeitschrift
Geldidee für den Heinrich Bauer Verlag. Der Verleger kam auf Brunowsky, weil
dieser zehn Jahre lang das größte deutsche Wirtschaftsmagazin Capital geleitet
hat. Bis zum Jahr 2001. Dann wurde er entlassen, doch anstatt wie andere
Exchefredakteure sein Berufsleben als Medienberater zu verbringen, suchte
Brunowsky eine große, neue Aufgabe.
Heute erzählt
er mit leuchtenden Augen von seinem Start als Unternehmer. „Inhaber“ sei er und
spricht das Wort fast ehrfürchtig aus. „Ich will einen Verlag aufbauen“, und
Aufträge wie der von Bauer brächten den nötigen Umsatz, um irgendwann „eine
eigene Zeitschrift“ zu starten. Nur Festangestellte
haben in Brunowskys Träumen wenig Platz: „Die Freien sind viel motivierter, und
Sie können jetzt sagen, die müssen ja auch. Dann antworte ich Ihnen: Ja, das ist
so.“ Er glaubt fest: „Am Ende schafft man durch diese Flexibilität mehr Arbeit.“
Er stellt die Fragen und gibt die Antworten gleich selbst, so lange hat er
darüber geschrieben. Jetzt will er beweisen, dass es stimmt: Unternehmertum ist
für ihn auch eine wirtschaftspolitische Vision.
Eine Vision,
von der einige Dutzend arbeitslose Journalisten leben können. Wenn auch auf
einem niedrigeren Niveau als zuvor. „Freie Mitarbeiter können bei uns in einem
halben Monat an die 2000 Euro verdienen“, sagt Brunowsky. Und fügt hinzu: „Die
Zeiten werden auch wieder besser werden, und dann wird sich zeigen, wie gut wir
unsere Leute behandelt haben und ob sie uns die Stange halten.“ Was der Neuverleger
macht, ist es bedrohlich? Für jeden Festangstellten sicherlich. Ist es aber
gefährlich für die Medienlandschaft insgesamt? „Das muss man differenziert
betrachten“, sagt selbst Medienkritiker Horst Röper.
Die Geldidee
hat laut ihrem Verlagsleiter Manfred Berning den Anspruch, „kurz und knapp über
das aktuelle Wirtschaftsgeschehen zu berichten und den Lesern bei der Geldanlage
zu helfen“. Dabei könnte es passieren, dass sie mit großen Konzernen aneinander
gerät. Über Bilanzen, über das Verhalten des Vorstands oder des Aufsichtsrats.
So ergeht es jedenfalls den Wettbewerbern BörseOnline auf der einen und der
Wirtschaftswoche auf der anderen Seite. Aber Berning wiegelt ab: „So ein
Konflikt ist mir zu weit hergeholt.“ Er erinnere sich nicht, dass ein Artikel
harte juristische Auseinandersetzung nach sich gezogen hätte. Die Geldidee hat
es also immer verstanden, nicht anzuecken.
Bleibt der
Interessenkonflikt von Ralf-Dieter Brunowsky. Er produziert auch die
Unternehmenszeitschrift des Finanzdienstleisters AWD, der Fonds,
Lebensversicherungen und sonstige Anlageformen an seine Kunden vertreibt. Diese
Arbeiten will Brunowsky demnächst in eine andere Gesellschaft ausgliedern.
Bedrohlich wirkt das alles nicht. Höchstens undurchsichtig.
Wenn also
unterhaltende Zeitschriften wie der Frauentitel Freundin oder das Männermagazin
Maxim von Externen erstellt würden und der Verlag nur noch den Vertrieb
organisierte, wäre das ein Bruch mit einer gängigen Praxis. Aber mehr auch
nicht.
Anders liegt
der Fall, wenn Zeitschriften und Zeitungen zur vierten Gewalt gehören, wie sie
in den Landesmediengesetzen definiert ist: „Die Presse ist frei. Sie dient der
demokratischen Grundordnung.“ Und sie „erfüllt eine öffentliche Aufgabe, wenn
sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und
verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der
Meinungsbildung mitwirkt.“ Hier kann Outsourcing „eine ernsthafte Gefahr
bedeuten“, sagt Medienforscher Horst Röper.
So wie in
Koblenz, wo sich die düstere Seite der Auslagerungen zeigt. Dort bricht Verleger
Walterpeter Twer mit der stillschweigenden Übereinkunft, wie Zeitungen
organisiert sein müssen, um kritisch berichten zu können. Dazu gehört, dass
zentrale Themen von der Stammredaktion bearbeitet werden. Auch wenn es natürlich
am einzelnen Redakteur liegt, wie es geschieht – er soll die größten Konflikte
austragen und die Meinungshoheit haben.
Twer glaubt
nun, sich dieses Modell nicht mehr leisten zu können. „Anpassen oder eingehen“,
so beschreibt er seine Situation und die aller deutschen Verleger in der
Medienkrise. Twer ist Anteilseigner und Geschäftsführer des Mittelrhein Verlags,
der die Rhein-Zeitung herausgibt. Er sagt: „Wir haben in den vergangenen
zweieinhalb Jahren 17 Millionen Euro Umsatz eingebüßt, mit Anzeigen verdienen
wir inzwischen weniger als im Vertrieb, und gleichzeitig müssen wir einer
Sekretärin oder einem Redakteur doppelt so viel zahlen wie vergleichbaren
Angestellten in der Region.“ Deshalb hat er den Tarifvertrag gekündigt. Überdies
sei für eine langsame Absenkung des Gehaltsniveaus über natürliche Fluktuation
in der Krise „keine Zeit mehr“, sagt er.
Mag sein.
Andererseits experimentiert Twer seit fünf Jahren an dem, was er seine
„Systemveränderung“ nennt. Er will die Lokalredaktionen schließen und seine
Seiten durch externe Dienstleister füllen lassen, die er selbst gründet. In Bad
Ems und Neuwied hat er es ausprobiert, nun soll die Redaktion in Koblenz folgen.
„Drei oder vier erfahrene Redakteure, der Rest junge Leute.“ Und alles ein
Drittel billiger als bisher. Dafür entlässt er, gemeinsam mit weiteren
Einsparungen im Mantelteil, dem Marketing und der Vorstufe, 80 Mitarbeiter.
Gefahr für
Lokalredaktionen
Helmut
Heinen, der Präsident des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger (BDZV),
hält das für eine Gefahr: „Im Lokalen, in der Politik und in der Wirtschaft darf
es keine Auslagerungen geben. Dort geht es um den Kern dessen, was eine Zeitung
ausmacht.“ Der Kern ist eine „unabhängige und kritische Berichterstattung“, was
im Lokalen durch die Beziehungen aller mit allen schwer genug ist.
Was würde
wohl passieren, wenn ein Medienbüro – oder in kleinen Gemeinden ein
Ein-Mann-Unternehmen – die Lokalgrößen kritisiert, die eng mit dem Chefredakteur
oder dem Verleger bekannt sind? Das ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern im
Fall der Firma Flowtex in Ettlingen genau so geschehen. Ein fest angestellter
Lokaljournalist hatte jahrelang kritisch über den Milliardenbetrüger Manfred
Schmider geschrieben, als der noch als Wunderknabe der baden-württembergischen
Wirtschaft galt. Am Ende hielten sogar Teile der eigenen Redaktion den
Rechercheur für einen Narren, sein Chefredakteur war mit Schmider im Rotary
Club. Man kann sich durchaus die Frage stellen, wie lange sich dieser Reporter
hätte halten können, wenn er ein freier Journalist gewesen wäre.
Twer sagt
dazu, man müsse in der Praxis feststellen, ob sein Modell Probleme bringe.
Mangelnde Unabhängigkeit? „Also immer wenn ein Politiker oder Unternehmer bei
mir anruft und sich beschwert, sage ich: Ich besorge nur das Geld. Schreiben tun
andere.“ Das werde er auch mit den neuen Dienstleistern so halten, schließlich
seien sie ja in seinem Besitz.
Das kann
man als Bekenntnis zu redaktioneller Unabhängigkeit verstehen. Aber die Praxis
zeigt gerade in der jüngsten Zeit: Wenn ein Journalist nicht zur
Zentralredaktion gehört, fühlen sich Verleger tendenziell weniger für ihn
verantwortlich. Denn „Medienunternehmen gehen davon ab, die Prozessrisiken für
freie Mitarbeiter und Dienstleister zu übernehmen. Das mag auch daran liegen,
dass die Streitwerte gestiegen sind“, sagt der auf Medienrecht spezialisierte
Anwalt Gernot Lehr. Lehr und andere Rechtsanwälte berichten, dass sie dieses
Verhalten gerade in den vergangenen Monaten mehrfach erlebt haben. Für seine
ausgegliederten Redaktionen verneint Twer eine rechtliche und publizistische
Schwächung vehement. Und er fügt hinzu, dass „die Leser in Neuwied und Bad Ems
nicht negativ reagiert haben“, seit die Lokalseiten anders produziert würden.
Sie, die Leser, seien doch der Maßstab.
Aber was hätten sie machen sollen?
Die Rhein-Zeitung ist die einzige Zeitung am Ort. Ein Monopolist. Es gibt nur
eine Wahl, die eigentlich keine ist: Lesen, was kommt. Oder gar nicht
lesen.